Aspekte jüdischen Denkens im Werk Hermann Brochs

Conference in German, in memoriam Jean-Paul Bier
Participation is free

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Conference organized by the Internationaler Arbeitskreis Hermann Broch and the Institute of Jewish Studies of the University of Antwerp with the support of the Österreichisches Kulturforum Brüssel and the department of literature of the University of Antwerp.



Location: Hof van Liere, Prentenkabinet, Prinsstraat 13, 2000 Antwerpen

Convenors

  • Prof. Vivian Liska (University of Antwerp, Institute of Jewish Studies)
  • Prof. Paul Michael Lützeler (Washington University in St. Louis)
  • Prof. Arvi Sepp (University of Antwerp, Institute of Jewish Studies)

Scientific Committee

  • Prof. Elena Agazzi (University of Bergamo)
  • Prof. Inge Arteel (Vrije Universiteit Brussel)
  • Prof. Graham Bertram (Lancaster University)
  • Prof. Antje Büssgen (Université Catholique de Louvain)
  • Prof. Anke Gilleir (KU Leuven)
  • Prof. Friedrich Vollhardt (Ludwig Maximilians University Munich)

Conference description

Hermann Broch (1886-1951) wurde in Wien geboren und wuchs in einer jüdischen Industriellenfamilie auf. Mit 21 Jahren trat er in die väterliche Textilfabrik (Spinnerei und Weberei) als kaufmännischer Direktor ein. Gleichzeitig begann er literarische Essays, Gedichte und Novellen zu schreiben. Nach zwanzig Jahren gelang es Broch die Firma zu verkaufen und sich ganz der schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Zwischen 1930 und 1932 erschien seine Romantrilogie Die Schlafwandler, die sofort internationale Beachtung fand und fast gleichzeitig auf Englisch in Großbritannien und Amerika erschien. 1938 musste Broch wegen seiner jüdischen Herkunft ins amerikanische Exil fliehen, wo er 1945 sein zweites Hauptwerk, den Roman Der Tod des Vergil (gleichzeitig auf Deutsch und auf Englisch) publizierte. Sein letzter Roman war das 1950 veröffentlichte Buch mit dem ironischen Titel Die Schuldlosen, in dem es um moralische Verstrickungen der Generation zwischen den beiden Weltkriegen geht. Berühmt wurde Broch, der zuweilen der österreichische Joyce genannt wird, auch durch seinen Essay James Joyce und die Gegenwart von 1932. Im Exil verfasste der Autor die großangelegte Studie Hofmannsthal und seine Zeit, eine Kulturgeschichte des Wiener Fin de Siècle im europäischen Kontext.

In Brochs frühe Lebensphase fällt seine Konversion zum Katholizismus, die einerseits bedingt war durch die Heirat, andererseits aber auch durch ein genuines Interesse an christlicher Ethik motiviert war. Eine besondere Affinität hegte er zum katholischen Existenzialismus von Theodor Haecker (inklusive Kierkegaard-Rezeption), von dessen entschiedenem Antifaschismus Broch beeindruckt war, und dessen Buch Vergil, Vater des Abendlandes keinen geringen Einfluss auf die Konzeption seines Exilromans Der Tod des Vergil hatte. Broch gehörte in der Donaumonarchie seiner Generation zu den vielen Intellektuellen und Künstlern (man denke an Gustav Mahler), die aus unterschiedlichen Gründen vom Judentum zum Christentum konvertiert waren, die dann aber ein Leben lang die dominierenden Ideen beider Religionen zu verbinden trachteten bzw. die dialogische Spannung zwischen den beiden Kulturen thematisierten. Auch sein zeitkritisches Vorbild Karl Kraus war zum Christentum übergetreten. In den Schlafwandlern (1932) kommt in der Geschichte des Heilsarmeemädchen in Berlin eine Reihe von Figuren vor, die unterschiedliche Richtungen des Judentums repräsentieren. Im Zerfall der Werte (dort besonders im Epilog) werden Nähe und Distanz zwischen christlichen Religionen und dem Judentum diskutiert. In dem antifaschistischen Roman Die Verzauberung (1935) rückt der Vertreter einer Minorität, seine Verfolgung und Vertreibung, in den Vordergrund. Im Tod des Vergil (1945), dem wichtigsten Exilwerk Brochs, kommen jüdische Figuren direkt nicht vor, aber die ausführliche Diskussion der Versklavung, die Broch in seinen Politischen Schriften aus der Exilzeit explizit auf das Judentum unter Hitler bezieht, ist eines der durchgängigen Themen in diesem Roman. Zudem ist es ein Buch, dessen mystische Passagen – wie Gershom Scholem feststellte – durch den Chassidismus inspiriert sind. In der ebenfalls im Exil geschriebenen Massenwahntheorie (1939-1948) ist das Schicksal der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zentral. Hier zeigt Broch wie das Konzentrationslager der Nationalsozialisten die denkbar radikalste Form der Versklavungs- und Vernichtungspolitik ist. Im Gegenzug dazu entwickelt er eine Theorie des Menschenrechts, das auf dem Tötungsverbot des Dekalogs, den Forderungen christlicher Ethik und Denkströmungen der Aufklärung basiert. Die Geschichte der Assimilation und Akkulturation in der Donaumonarchie ist dominant in seiner Studie Hofmannsthal und seine Zeit (1948). Zu verweisen ist zudem auf das “Prophetengedicht” in seinem letzten Roman Die Schuldlosen (1950), das als Teil der “Stimmen 1933” Judentum und Exilexistenz in engem Zusammenhang sieht. Schließlich sind Brochs Briefwechsel zu erwähnen, wo das Schicksal der Juden, jüdische Philosophie und Religion Diskussionsthemen sind. Man denke an die Korrespondenzen mit Hannah Arendt, Thomas Mann und Ruth Norden, vor allem aber an diejenigen mit Freunden, die wie Broch in der Donaumonarchie aufgewachsen waren wie Erich von Kahler, Paul Federn, Abraham Sonne und Daniel Brody.

All diese und weitere Aspekte von Brochs Zusammenhang mit dem jüdischen Denken seiner Zeit werden in den Vorträgen der zwölf Broch-ExpertInnen und bei den Diskussionen im Verlauf des Symposiums zur Sprache kommen.

Program

Wednesday 21 October 2015

  • 13.15-13.30 Welcome and introduction Vivian Liska
     
  • Session I : Soziologie und Theologie im Kontext der “Schlafwandler”
    Chair: Vivian Liska (Institute of Jewish Studies, University of Antwerp)
    • 13.30-14.30 "Der 'fortgeschrittenste' Mensch kat'exochen". Diskurse über das Judentum in Brochs "Die Schlafwandler"
      Daniel Weidner (Zentrum für Literaturforschung Berlin)
    • 14.30-15.30 “Modern und sonderbar”: Brochs Entwurf eines jüdischen Prototypus
      Martin Klebes (University of Oregon)
  • 18.00 Dinner (speakers only)
     
  • 20.00-21.00 Keynote lecture: Hermann Broch und das "Ostjudentum"
    Hartmut Steinecke (Universität Paderborn)

Thursday 22 October 2015

  • Session II : Philosophie und Korrespondenz
    Chair: Vivian Liska (Institute of Jewish Studies, University of Antwerp)
    • 9.00-10.00 Keynote lecture: Broch und Husserl: Sprache, Logik, Gott
      Ashraf Noor (Zürich)
    • 10.00-10.30 Coffee break
    • 10.30-11.30 Theorie der Schuld: Literatur und Deutschlandfrage in der Korrespondenz H. Broch – H.G. Adler – H. Arendt
      Jana Schmidt (University of Buffalo)
  • 11.30-15.00 Lunch break and guided tour to Antwerp’s historical city center (speakers only) 
     
  • Session III : Menschenrecht und Demokratietheorie im Zeichen der “Massenwahntheorie”
    Chair: Ashraf Noor (Zürich)
    • 15.00-16.00 Menschenrecht und Ebenbild: Aspekte jüdischen Denkens in Brochs Mensenrechtstheorie
      Barbara Picht (Viadrina: Europa-Universität Frankfurt/Oder)
    • 16.00-16.30 Coffee break
    • 16.30-17.30 Keynote lecture: Brochs letzte Utopie? Menschenrechtsengagement und Messianismus
      Sebastian Wogenstein (University of Connecticut)
  • 18.00 Conference dinner (speakers only)

Friday 23 October 2015

  • Session IV : Ethik und Geschichte im Gesamtwerk Brochs
    Chair: Dennis Baert (Institute of Jewish Studies, University of Antwerp)
    • 9.00-10.00 Definitio ex adverso: Zur Denkfigur des Juden als Opfer und als Repräsentant bedrohter Kultur
      Helga Mitterbauer (Université libre de Bruxelles)
    • 10.00-10.30 Coffee break
    • 10.30-11.30 Jenseits der Sprache: Dichtung als Seinsbewältigung und Todesnähe in Brochs “Der Tod des Vergil”
      Rosanne Ceuppens (Vrije Universiteit Brussel)
    • 11.30-12.30 Einheit, unverloren: Brochs Wissenspoetik – von der Enzyklopädie Otto Neuraths zum kombinatorischen Witz dritter Potenz
      Gunter Martens (Universiteit Gent)
  • 12.30-14.00 Lunch (speakers only) 
     
  • 14.00 End of the conference

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