Tuesday 19 November 2024 at 19h
Antrittsvortrag an der Universität Antwerpen
Prof. Dr. Andree Michaelis-König - University of Antwerp
Lecture in German, organized in cooperation with Deutschcafé (UAntwerpen).
Lecture on Tuesday at 19h, followed by a reception.
Lecture in room R.013, Rodestraat 14, Antwerp.
Free entrance. To register: click here.
Freundschaft ist in der allgemeinen Biographik wie in der Literaturgeschichte ein oft thematisierter Aspekt. Selten jedoch geht der Befund über die freundschaftliche Nähe zweier Autor*innen über die bloße Feststellung dieses Verhältnisses hinaus. Dabei wusste schon Siegfried Kracauer von der Freundschaft unter Autor*innen zu sagen, dass in ihr „Einsichten erblühen, die keiner vorher so hätte empfangen können“.Was genau können Freundschaften unter Schriftsteller*innen bedeuten? Wie manifestieren sie sich und welche Folgen haben sie für das literarische Werk der beiden Freund*innen? Welche Rolle spielen dabei die lebensgeschichtlichen Hintergründe der Freund*innen?
Kaum eine Freundschaft findet je unter absolut gleichen Partner*innen statt. Umso größer aber die Herausforderungen, umso‚körniger‘ die Texturen des um Freundschaft bemühten Austausches, wenn Herkunft, Gender und Klasse die Freunde*Freundinnen unterscheiden. Gerade Freundschaften mit jüdischen Autor*innen erweisen sich hier als ein ebenso spannendes wie aufschlussreiches Feld der Untersuchung. Die Beziehung von Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn als zwei Repräsentanten der Aufklärung ist hier nur das vielleicht berühmteste Beispiel. Doch die deutschsprachige Literaturgeschichte ist voll von solchen Beispielen mehr oder minder gelungener Annäherungen im diskursiven Milieu der Freundschaft – wie Rahel Levin Varnhagen und Clemens Brentano, Fanny Lewald und Therese von Bacheracht, Bertold Auerbach und Gustav Freytag, Karl Wolfskehl und Stefan George, Walter Benjamin und Fritz Heinle u.v.a.
Im Vortrag werde Andree Michaelis-König eine Auswahl dieser Freundschaften rekonstruieren und um einige systematische Überlegungen zur Analyse von Freundschaften in der Literaturgeschichte ergänzen. Dabei geht es um nicht weniger als das spannungsgeladene Zusammenspiel von politischer Brisanz, tatsächlicher Praxis und poetologischer Implikation. Der Blick auf Freundschaften, so die These, erschließt ein bemerkenswertes Differenzierungspotential, bei dem sich ausgehend vom Zusammenhang biographischer und poetologischer Aspekte Schlüsselmomente in der Werkgenese einzelner Autor*innen identifizieren und neu deuten lassen. Erkennbar wird zugleich eine neue Weise, Literaturgeschichte zu schreiben.
Andree Michaelis-König ist Professor für neuere deutsche Literatur und Kultur an der Universität Antwerpen. Er studierte Neuere Deutsche Literatur, Komparatistik und Philosophie an der Freien Universität Berlin sowie am Reed College, Portland (Oregon, USA). Promoviert wurde er 2011 an der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin. 2022 habilitierte er sich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) mit der Schrift Das Versprechen der Freundschaft. Politik und ästhetische Praxis jüdisch-nichtjüdischer Freundschaften in der deutschsprachigen Literaturgeschichte seit der Aufklärung. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen die deutschsprachig-jüdische Literaturgeschichte, Theorien und Praktiken der Freundschaft, Literatur und Migration, Literatur und Emanzipation, intersektionale Perspektiven auf Literatur sowie Medialität und Erinnerung.